Immer mehr Städte steigern ihren Grünflächenanteil und möchten die Natur wieder zurück in den sonst so versiegelten Raum bringen. Die Gründe dafür sind meist vielfältig und reichen von der Schaffung grüner Erholungs- und Aufenthaltsräume für die Bewohner, über Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen bis hin zu Renaturierungsprojekten. Die Idee einer Stadt mit vielen Grün- und Freiflächen ist allerdings keine Neue, sondern hat bereits im 19. Jahrhundert mit dem Modell der Gartenstadt existiert.

Die Geschichte der Gartenstadt

Das Modell der Gartenstadt wurde von dem Briten Ebenezer Howard, einem angesehenen Stadtplaner und Sozialreformer, Ende des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen. Die Ursache für die Idee lag in der damals, besonders in England, rasend wachsenden Industrialisierung und Urbanisierung. Immer mehr Menschen zogen in die Städte, viele Unternehmen bauten dort ihre Firmenstandorte und vor allem ihre Fabriken.

Die Städte wuchsen schneller in alle Richtungen, als ein verträgliches und geordnetes Wachstum jemals hätte ablaufen können.

Besonders die Arbeiter und ihre Familien lebten unter elendigen Bedingungen in viel zu kleinen Wohnungen. Die Bodenpreise explodierten und die allgemeine Wohnungsnot nahm weiter zu. Gleichzeitig herrschten durch die vielen Abgase und Schadstoffe der Fabriken und dem Kapazitätsmangel der Kanalisation schlechte hygienische Verhältnisse und im wahrsten Sinne des Wortes dicke Luft. Es dauerte nicht lange, bis die Städte Englands an ihren Belastungsgrenzen angekommen waren und umgehende Reformen gefordert wurden. Stadtplaner Ebenezer Howard entwarf daraufhin seine Gartenstadt-Idee.

Die Geschichte der Gartenstadt
Das Modell der Gartenstadt wurde von dem Briten Ebenezer Howard, einem angesehenen Stadtplaner und Sozialreformer, Ende des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen – Bild: © ebenart #207926978 – stock.adobe.com

Die Idee der Gartenstadt

In der Gartenstadt sollte all das vereint sein, was in den Städten bisher nicht zusammengepasst hat. Als Neuplanung vorgesehen, sollten die Gartenstädte im Umland auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen errichtet werden. Eine Umgestaltung der bereits vorhandenen Städte erachtete Ebenezer Howard aufgrund der katastrophalen Zustände weder als möglich noch als sinnvoll. Stattdessen sollten die neuen Städte, welche die Vorteile von Land und Stadt perfekt in Symbiose bringen sollen, neu errichtet und vollständig dem Leitmotiv nach aufgebaut werden.
Die ideale Gartenstadt besteht dabei aus mehreren Teilen, welche jeweils eigenständig existieren können. Getrennt werden die Teile durch große Agrar- und Grünflächen und sind nur über Schienen miteinander verbunden. Die städtischen Funktionen wie Wohnen, Arbeiten, Einkaufen oder Erholung unterliegen im Gartenstadtprinzip streng der Nutzungstrennung und werden räumlich distanziert in jeweils unterschiedlichen Stadtteilen verortet. So soll besonders das Wohnen wieder angenehm und ruhig gestaltet werden und sich nicht mit gewerblichen und emissionsverursachenden Funktionen mischen. Des Weiteren ist eine Gartenstadt nach Howard auf absolute Selbstständigkeit ausgelegt. Die Stadt soll sich sowohl selbst verwalten, als auch in Eigenregie in den Agrargürteln die Nahrungsmittel für die Bewohner produzieren. Um ein extremes oder unkontrolliertes Wachstum der Stadt zu vermeiden, unterlagen die Gartenstädte strengen Limitierungen hinsichtlich der Fläche und Einwohnerzahl. Ausgelegt wurde eine Gartenstadt auf eine maximale Einwohnerzahl von 32.000 Menschen auf einer Fläche, die 2400 ha nicht überschreiten sollte. [*¹]

Zuletzt wurde nicht nur der nachhaltige und gesunde Lebensraum in der Gartenstadt-Idee verwirklicht, sondern auch der soziale Aspekt nicht außer Acht gelassen. Eine soziale Segregation innerhalb der Bevölkerung und die Bildung bestimmter, voneinander abgegrenzter sozialer Schichten, sollten in der Gartenstadt nicht vorkommen. Das Konzept war durchweg auf Gemeinsamkeit, Zusammenhalt und Wertschätzung gegenüber Mensch und Natur ausgelegt.

Idee der Gartenstadt
In der Gartenstadt sollte all das vereint sein, was in den Städten bisher nicht zusammengepasst hat – Bild: © Arno #432211635 – stock.adobe.com

Der Aufbau der idealen Gartenstadt

Ebenezer Howard hat ein Idealbild der Gartenstadt entworfen. Bei diesem befindet sich ein bebauter Bereich im Zentrum, welcher die Verwaltungsgebäude und einen großen Marktplatz beinhaltet. Angrenzend daran schließt ein Wohngebiet an, welches durchweg mit Einfamilienhäusern bebaut ist. Das Gewerbe und die Industrien sind an den Randlagen der Gartenstadt angesiedelt, wo die teils lauten und emissionsverursachenden Betriebe und Fabriken weniger stören. Im Gartenstadtkomplex verbleiben zudem genügend freie Flächen, die als Garten, zu landwirtschaftlichen Zwecken oder als Erholungsraum genutzt werden können. [*¹]

Wichtig zu betonen ist, dass der von Ebenezer Howard skizzierte Ansatz ein idealtypisches Modell ist und in der Wirklichkeit nie in diesem Stile umgesetzt wurde.

Die bestehenden Gartenstädte sind allesamt in Anlehnung an den Entwurf von Howard entstanden, aber mit ganz eigenen Strukturen und Besonderheiten. Zudem muss noch hinzugefügt werden, dass der Entwurf von Howard einer Utopie gleicht, welche in der Realität nicht praktikabel umgesetzt werden kann.

Die Finanzierung der Gartenstadt

Das Besondere an der Gartenstadt neben ihrem komplexen Aufbau war zweifelsohne die Idee der Finanzierung, denn Besitz an Grund und Boden existiert in der Gartenstadt nach Howard nicht. Der britische Stadtplaner wollte mit diesem Ansatz dem Problem der exorbitanten Bodenpreise, der Wohnungsnot und der damit einhergehenden Privilegierung des Wohnraums für reichere Gruppen entgegenwirken. Privateigentum an Grund und Boden sollte demnach durch das Gemeinschaftseigentum abgelöst werden. Die Fläche gehörte also faktisch allen Bürgern der Gartenstadt gemeinsam. Finanziert werden sollte der Bau der Gartenstadt über Investoren, die anschließend rückwirkend eine Pacht von den Bürgern für die Grundstücke erhielten.
Bedingt durch die Tatsache, dass der reine Ackerboden vor der Bebauung recht günstig war und durch die Aufwertung zum urbanen Boden rasch an Wert gewann, kam viel Gewinn aus dem Boden der Gemeinschaft zugute.

Finanzierung der Gartenstadt
Das Besondere an der Gartenstadt neben ihrem komplexen Aufbau war zweifelsohne die Idee der Finanzierung, denn Besitz an Grund und Boden existiert in der Gartenstadt nach Howard nicht – Bild: © Sawomir #707410151 – stock.adobe.com

Verschiedene Umsetzungen der Gartenstadt-Idee weltweit

Letchworth

Die ersten realen Gartenstädte basierend auf der Idee von Ebenezer Howard realisierten sich in England und wurden noch von Howard selbst gegründet. Einige Kilometer von London entfernt entstand die Gartenstadt Letchworth im frühen 20. Jahrhundert, die heute als eine der berühmtesten Umsetzungen von Howards Idee gilt. Die Stadt sollte damals als Pionierprojekt ein Vorbild für eine neue Art des städtischen Lebens werden, in der die Vorteile von Land und Stadt kombiniert werden. Das Ziel war es, Wohnraum, Arbeitsplätze und Grünflächen so zu integrieren, dass die Bewohner in einem gesunden und harmonischen Umfeld leben konnten.

In Letchworth wurde das Konzept der Trennung von Wohn-, Gewerbe- und Grünflächen besonders sorgfältig umgesetzt.

Umgeben von einem grünen Gürtel, bot die Stadt breite Straßen, Parks und Gärten, die in unmittelbarer Nähe der Wohngebiete lagen. Gleichzeitig wurden Industriegebiete so platziert, dass sie die Lebensqualität nicht beeinträchtigten, aber trotzdem für Arbeitsplätze in der Nähe sorgten.
Trotzdem blieb auch Letchworth nicht von den Herausforderungen verschont, die sich einer Stadt zwangsläufig früher oder später in den Weg stellen. Mit dem zunehmenden Wachstum der Stadt entstand ein Fokus auf private Grundstücke, da die Gemeinschaftsstrukturen immer schwieriger aufrechterhalten werden konnten. Der soziale Idealismus der Stadt ging mit der Zeit und dem Wachstum verloren, bis sie schließlich von Kritikern nur noch als grüne Vorstadt mit gehobenem Lebensstil bezeichnet wurde.

Welwyn Garden City

Geründet im Jahr 1920 baut die Gartenstadt Welwyn Garden City auf den Erfahrungen und den Ideen von Letchworth auf. Welwyn wurde unter der direkten Beteiligung Howards geplant und spiegelt viele seiner ursprünglichen Ideen wider, insbesondere die Balance zwischen Urbanität und Natur. Die Stadtplanung war strenger und systematischer, um die sozialen und wirtschaftlichen Ziele der Gartenstadtbewegung konsequenter umzusetzen.

Im Unterschied zu Letchworth wurde in Welwyn mehr Wert auf eine ästhetische Stadtplanung und einen einheitlichen Baustil gelegt. Zudem wurde eine stärkere Kontrolle über den Wohnungsbau seitens der Stadt ausgeübt. Die Stadtverwaltung behielt die Kontrolle über die Grundstücke und Bauvorschriften, um zu verhindern, dass sich private Interessen zu stark durchsetzten und die ursprüngliche Vision zerstörten. Da auch das Thema Pendelverkehr immer bedeutender wurde, rückten in Welwyn die Industriegebiete näher an die Wohnbebauung heran.
Auch wenn in „der zweiten Gartenstadt“ vieles besser funktionierte als in Letchworth blieben auch hier die Schwierigkeiten mit der Zeit nicht aus. Die enge Verbindung von Wohnen und Arbeiten wurde geschwächt und die Stadt entwickelte sich mehr und mehr zu einer Pendlerstadt, da viele Bewohner im benachbarten London arbeiteten.

Welwyn Garden City
Geründet im Jahr 1920 baut die Gartenstadt Welwyn Garden City auf den Erfahrungen und den Ideen von Letchworth auf – Bild: © Newtown Sketch #391941293 – stock.adobe.com

Dresden Hellerau

Auch in Deutschland wurden Städte nach dem Vorbild der Gartenstadt nach Ebenezer Howard errichtet. Im Jahr 1930 gründete sich die bekannteste deutsche Gartenstadt, Hellerau (Dresden). Initiiert wurde sie vom Unternehmer Karl Schmidt-Hellerau, der eine Werkbundsiedlung nach dem Vorbild von Howard schaffen wollte. Vereint werden sollten hier Wohnen, Arbeiten und Kultur unter anderem durch das kulturelle Zentrum, welches bis heute das berühmte Festspielhaus Hellerau beheimatet.

Falkenberg (Berlin)

Die Gartenstadt Falkenberg, auch als „Tuschkastensiedlung“ bekannt, wurde 1913 in Berlin gegründet und steht heute auf der UNESCO-Welterbeliste.

Sie ist ein herausragendes Beispiel für sozialen Wohnungsbau und das Gartenstadtprinzip in einer Großstadt.

Die farbenfrohen Gebäude, entworfen vom Architekten Bruno Taut, sind in einen großzügigen städtebaulichen Plan mit Gärten, Wegen und Grünanlagen eingebettet. Falkenberg verdeutlicht, wie das Gartenstadtmodell auch in einer Großstadtumgebung funktionieren kann, ohne dabei an Lebensqualität einzubüßen.

Gartenstadt Marga (Brandenburg)

In der Nähe von Senftenberg in Brandenburg wurde im Jahr 1907 eine weitere Siedlung im Sinne der Gartenstadtidee gegründet. Auch sie war als Werkssiedlung gedacht und sollte den Arbeitern eines Braunkohletagebaus Wohnraum, großzügige Grünflächen und Gärten zur Eigenversorgung bieten. Die Stadt wurde nach damals modernsten städtebaulichen Prinzipien errichtet.


Quellenangabe:
[*¹] https://static.klett.de/assets/terrasse/Die_Gartenstadt.pdf


Autorin: Carina Pfeil