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Climate Fiction – der neue Lesetrend

Climate Fiction – der neue Lesetrend
Climate Fiction – der neue Lesetrend | Fotos: © Oleksandr #651673824 – stock.adobe.com

Climate Fiction liegt voll im Trend. Untermalt von faszinierender Angstlust, beschreiben Autoren wie Robert Habecks Ehefrau Andrea Paluch oder T. C. Boyle in ihren Romanen den Weltuntergang durch Klimawandel. Erste Romane in dieser Form gab es übrigens schon vor etwa 60 Jahren durch den britischen Autor J. G. Ballard.

Frühling der Dystopie

Aus der Gegenwartsliteratur ist Climate Fiction nicht mehr wegzudenken. Climate Fiction – auch als Cli-Fi bezeichnet – ist ein beliebtes Boom-Genre.

Im Fokus stehen Naturkatastrophen und Weltuntergänge.

Einige Romane wie „°C – Celsius“ von Autor Marc Elsberg oder „Blue Skies“ von T. C. Boyle avancierten zum Bestseller. Dieser Trend setzt sich fort. Ein Blick auf die Verlagsprogramme dieses Jahres verrät, dass die Bücherbranche ein „Frühling der Dystopie“ erwartet.

Gegenwartsliteratur Climate Fiction
Aus der Gegenwartsliteratur ist Climate Fiction nicht mehr wegzudenken | Fotos: © Alex Vog #797724877 – stock.adobe.com

Ballard: Vorreiter dystopischer Science Fiction

Diesem literarischen Zeitgeist entsprechen auch zwei Neuübersetzungen, die der frühen Schaffensphase von J. G. Ballard entstammen. Der im Jahr 2009 in Großbritannien verstorbene Autor geht als einer der Vorreiter dystopischer Science-Fiction in die Literatur-Geschichte ein. Nun wurden James Graham Ballards Werke „Die Flut“ und „Die Dürre“ neu übersetzt.

Mit einem weiteren 1970 veröffentlichten Werk namens „Liebe & Napalm. Export USA“ tauchte Ballard auf fantastische Weise in kollektive Traumwelten zweifelhafter Weltmächte ein. Dessen Erzählungen perverser Todestriebe in „Crash“ über eine automobile Gesellschaft sind seit der gleichnamigen Verfilmung von Regisseur David Cronenberg ein Aushängeschild der hiesigen Popkultur. Seit einigen Jahren publiziert der Zürcher Verlag Diaphanes immer wieder Neuauflagen und deutsche Übersetzungen von Ballards Werken.

Ballard ist der Vorreiter dystopischer Science Fiction
Ballard ist der Vorreiter dystopischer Science Fiction | Fotos: © prystai #681109490 – stock.adobe.com

Beschreibungen von Katastrophen

Beim Durchlesen der neu übersetzten Werke „Die Dürre“ und „Die Flut“ – mit den Ursprungstiteln „The Burning World“ und „The Drowned World“ – schien Ballard schon damals das richtige Gespür für den nunmehrigen Climate Fiction-Hype verspürt zu haben.

Doch im Umkehrschluss könnte man auch meinen, dass Erzählungen über apokalyptische Katastrophen die Menschheit seit Jahrhunderten in den Bann ziehen.

Von der Psychoanalyse und Surrealismus inspiriert, schien Ballard schon immer ein besonderes Interesse an „inneren Räumen“ menschlicher Erlebnisse zu haben. Als Spezialist zur Beschreibung von Katastrophen schrieb J. G. Ballard Geschichte.

Kein Raum für Heroismus

Ein Faszinosum an Ballards Erzählungen ist die Tatsache, dass Heroismus in dessen Geschichten nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Protagonisten in Ballards Romanen sind verzweifelte und verlorene Figuren, die Naturkatastrophen wie einer Flut oder Dürre hilflos gegenüberstehen. Die Szenarien in den Romanen sind schnell erklärt.

In einer Erzählung verschwindet Wasser. In dem anderen Roman steht die ganze Welt unter Wasser. Im Fokus von Ballards Climate Fiction stehen Ruinen der Zivilisation, die von verdorrten Geisterstädten oder einem in Wasser versunkenem London handeln. Gegen Fluten oder in Wüsten lebende Menschen orientieren sich an sozialen Regeln, die zwar nur wenig Sinn machen. Doch ihnen mangelt es schlichtweg an der richtigen Orientierung. Wissenschaftler sind drauf und dran, ihren Verstand zu verlieren. Abenteurer begeben sich in einen harten und gnadenlosen Überlebenskampf.

Kein Raum für Heroismus
Ein Faszinosum an Ballards Erzählungen ist die Tatsache, dass Heroismus in dessen Geschichten nur eine untergeordnete Rolle spielt | Fotos: © Sataporn #795700113 – stock.adobe.com

Verlorene Gesellschaften

Ballard betrachtet Evolution in seinen Romanen aus einer völlig anderen Perspektive. Seine Erzählungen handeln von inneren Welten der Menschen, deren Gesellschaften verloren zu sein scheinen. Doch auch seelische Landschaften nehmen ein anderes Erscheinungsbild an.

Extreme Umstände sorgen dafür, dass völlig unbekannte oder in Vergessenheit geratene Lebensformen neue Konturen annehmen.

Katastrophen werden thematisiert, die ganze Welten bedrohen. Handlungen spielen in den Climate Fiction-Erzählungen eher eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt stehen stattdessen Bilder und dystopische Atmosphären. Der Autor stellt die Katastrophen nicht dar, um Leser zu Einsichten zu bewegen, die an die Alte Welt erinnern. Stattdessen dienen die Weltuntergänge als Mittel zum Zweck, um Erweckungsfantasien auszuleben oder Harmlosigkeit und Brutalität zu vereinen.

Utopie trifft auf Karikatur

Bekannte Romane von Robert Habecks Ehefrau Andrea Paluch wie „Die besten Weltuntergänge“ aus dem Jahr 2021 oder „Zurück zur Natur“ lassen Weltuntergänge besonders utopisch oder gar als eine Art Karikatur erscheinen. Doch während hinter diesen Erzählungen auch ein erzieherischer Aspekt steckt, legt Ballard auf literarische Aspekte deutlich mehr Wert. Der Schriftsteller ist ein Spezialist die etwas schöneren Weltuntergänge zu beschreiben, deren Darstellungen man gewiss noch das eine oder andere Lächeln abgewinnen kann.

Utopie trifft auf Karikatur
Bekannte Romane von Robert Habecks Ehefrau Andrea Paluch wie „Die besten Weltuntergänge“ aus dem Jahr 2021 oder „Zurück zur Natur“ lassen Weltuntergänge besonders utopisch oder gar als eine Art Karikatur erscheinen | Fotos: © Anuwat #784586626 – stock.adobe.com

Psychischer und sozialer Kollaps

In „Die Dürre“ und „Die Flut“ geht Ballard darauf ein, wie eine Veränderung von natürlichen Systemen psychische und soziale Kollapse erzeugen. In späteren Büchern konzentriert sich der Autor auf die Implosion sozialer Welten. Ein Beispiel ist der Roman „High-Rise“ aus dem Jahr 1988, in dem sich die vermeintliche Idylle in einem Hochhaus zum archaischen Kampf gegen die ganze Welt wandelt. Wohlhabende und gebildete Menschen mit glücklicher Vergangenheit drohen auszubrechen – weil sie nach Aussagen des Romans nie die Chance hatten, „pervers zu sein“.

Revolten in unscheinbaren Vorstädten

Die 2003 und 2006 von Ballard veröffentlichten Romane „Millennium People“ und „Das Reich kommt“ handeln von eher unscheinbaren Vorstädten, die von Revolten heimgesucht werden.

Obwohl es den Bewohnern dieser Städte an nichts fehlt, zetteln sie im Laufe der Zeit einen Bürgerkrieg an.

Verzweifelt versuchen die Bewohner der Stadt, sich gegen den erschöpften Liberalismus zu wehren und der Langeweile des Kommunismus den Rücken zuzukehren. In „Das Reich kommt“ ist von geordneten Gesellschaften die Rede, die immer verrückter und absurder werden.

Naturkatastrophen im Fokus

Mit seinen Romanen möchte der Autor nicht warnen oder mahnen, sondern vielmehr surrealistische Szenarien erschaffen, in denen eher wenig beachtete Ströme den Alltag dominieren. Leser werden zu Entdeckungsreisen zu „Nicht-Orten“ eingeladen, die von Naturkatastrophen heimgesucht werden.

In jedem seiner Werke gelingt es J. G. Ballard auf eindrucksvolle Weise, einen unheimlichen Blickwinkel auf die Welt zu werfen. Bleibt zu hoffen, dass diese dystopischen Erzählungen eines Tages nicht zur unangenehmen Realität werden.