
Die Plastikflut im Meer nimmt immer weiter zu. Die winzigen Plastikpartikel verschmutzen nicht nur die Meere, sondern auch Flüsse und Gebirge. Sie sind auch beim Menschen in den Organen und im Gehirn nachweisbar. Im Körper können die Plastikteilchen Entzündungen verursachen. Verschiedene dieser Partikel sind krebserregend.
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Hydrogel gegen die Plastikflut im Meer
Millionen Tonnen Plastik schwimmen auf hoher See und sinken dann in die Tiefe. Der Plastikmüll wird durch Gezeiten, Wind und andere Einflüsse zu Mikroplastik zerrieben und auch von Meereslebewesen aufgenommen. Forscher aus Hannover haben jetzt ein Material entwickelt, um die schädlichen Partikel aufzunehmen und zu zersetzen. Allerdings befürchtet die Meeresbiologin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven neue Probleme.
Der Chemiker Dennis Kollofrath vom Team um Chemieprofessor Sebastian Polarz vom Institut für Anorganische Chemie der Leibniz Universität Hannover ist Erstautor einer neuen Studie und sagt, dass im Idealfall Wasser und Kohlendioxid übrigbleiben.
Der schwimmende Plastikmüll wird in der Natur von Sonnenlicht zersetzt. Am Meeresboden funktioniert das nicht, da es dort kein Licht und keinen Sauerstoff gibt.
Wenn sich das Material nicht vollständig zersetzt, bleiben Sauerstoff und molekulare Einzelbestandteile übrig. Einige dieser Stoffe sind potenziell giftig, doch zersetzen sie sich in der Natur noch weiter. Die Ökobilanz wird durch das freigesetzte Kohlendioxid nicht verschlechtert.

Funktionsweise des Konzepts
Die Forscher haben ein Hydrogel entwickelt, das aus einem temperaturempfindlichen Polymer, einem Photokatalysator und porösen Organosilikat-Nanopartikeln besteht. Das Polymer quillt bei niedrigen Temperaturen auf dem Meeresgrund auf und nimmt Glukose und Mikroplastik auf. Glukose wirkt wie ein Treibstoff und tritt im Wasser in geringer Konzentration auf.
Die Glukose wird von den eingebetteten Katalysatoren aus einem Enzym und Platin-Nanopartikeln zuerst in Wasserstoffperoxid umgewandelt. Daraus wird Sauerstoff, der von den Silikat-Partikeln gespeichert wird.
Der Sauerstoff erzeugt in den Poren der Silikat-Partikel Auftritt. Ist genug Gas vorhanden, steigt das Gel mit Mikroplastik an die Oberfläche des Meeres. Das Hydrogel wird dort vom Sonnenlicht erwärmt und schrumpft. Dabei werden Gasblasen freigesetzt. So verschwindet der Auftrieb, sodass das Gel wieder absinkt.
Dieses Konzept hat im Labor funktioniert, doch wurde es in der Realität im Meer noch nicht erprobt.
Der Photokatalysator erzeugt unter Einwirkung von Licht reaktive Sauerstoffmoleküle. Sie greifen bis auf das Gel selbst alles in der Umgebung an. Verschiedene Katalysatoren könnten unterschiedliche Kunststoffe zersetzen. Der Zyklus beginnt erneut, wenn das Gel absinkt.
Auch wenn die einzelnen von den Forschern für das Gel verwendeten Stoffe ungiftig sind, muss die Bio-Kompatibilität des Gels noch untersucht werden. Möglicherweise kann das Gel für Tiere und Pflanzen gefährlich werden. Es kann von Fischen und anderen Tieren verschluckt werden.
Damit das Gel tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielt, müsste es im Maßstab von Kilogramm oder Tonnen verwendet werden. Ein Gramm dieses Gels kann bei einem Zyklus 53 Milligramm Mikroplastik zersetzen.

Unbeabsichtigte, aber schwerwiegende Folgen für Meereslebewesen
Meeresbiologin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut befürchtet beim Einsatz des Hydrogels unbeabsichtigte, aber schwerwiegende Folgen. Sie sieht dieses Hydrogel jedoch als Möglichkeit zur zusätzlichen Reinigung von belasteten Abwässern in einem geschlossenen System wie einem Klärwerk.
Mikroplastik kann von einer Vielzahl von Meeresorganismen aufgenommen werden. Aus dem Mikroplastik können Chemikalien austreten. In Plastik sind immer Chemikalien enthalten, von denen bislang ungefähr 16.000 bekannt sind.
Ein Viertel dieser Chemikalien gilt als gefährlich. Von ungefähr 10.000 Chemikalien fehlen die Daten.
Wenn Tiere Mikroplastik aufnehmen, kann das zu Wachstumsstörungen führen und die Fruchtbarkeit und Fortpflanzung einschränken. Weitere mögliche schwerwiegende Folgen sind verändertes Verhalten und Mutationen. Bei verschiedenen Tiergruppen und bei menschlichen Zellen wurden bereits Entzündungsreaktionen nachgewiesen.
Im Meer schränkt Mikroplastik die Photosynthese um sieben Prozent ein. Die Algen und Pflanzen nehmen weniger Kohlendioxid auf, was zu weniger Biomasse in der Nahrungskette führt.
Test unter realen Bedingungen
Die Chemiker wollen in der nächsten Phase das Hydrogel unter möglichst realen Bedingungen testen. Im Becherglas gibt es keine Sedimente, wie Dennis Kollofrath vom Forscherteam erklärt. Die Forscher arbeiten weiter an ihrem Hydrogel, doch noch ist offen, wie das Projekt weitergeht.
Für die Herstellung des Hydrogels in größeren Mengen müssen die Forscher einen Partner finden. Eine Kooperation mit der Industrie ist möglich. Die Silikatpartikel sind großtechnisch schwer herstellbar.



